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Leseprobe des neuen Buchs

(Erscheint voraussichtlich 2017)

 

Aber in einem Haus wie der Bürgerpark-Residenz bleibt nichts geheim.

Ausgerechnet Direktor Eddi Weber, der den Kontrollgang über die Pflegestation  herausschiebt, wo immer er kann, und deshalb für das morgendliche Schlemmen seiner Angestellten keine Gefahr bedeutet, kommt an diesem Morgen gutgelaunt den Flur der Pflegestation entlang und ist schon fast am Frühstücksraum der Bewohner  vorbei, als er wie angewurzelt stehenbleibt. Er glaubt, seinen Augen nicht zu trauen.

„Guten Morgen, meine Damen, wird der Personalspeiseraum renoviert oder warum sehe ich hier so eine fröhliche Runde beim Frühstück? Wo sind denn unsere Bewohner?“

„Sind alle längst fertig“, sagt Pflegedienstleiterin Susanne Merz schnell. „Jetzt stärken wir uns für unseren anstrengenden Tag. Kommt doch sonst sowieso alles in die Tonne“.  

Überflüssigerweise fügt sie noch hinzu: „Bei meiner letzten Stelle haben wir das auch immer so gemacht. Ist doch sonst ein Jammer!“

Dass das reichliche Aufschnittangebot ein Rest vom Bewohnerfrühstück ist und mitnichten von seinen Angestellten mitgebracht wurde, ist Eddi Weber noch gar nicht aufgefallen.

Aber jetzt!

„Ich glaube, Frau Merz, hier gibt es Klärungsbedarf“, zischt er erbost. „Kommen Sie doch bitte gleich in mein Büro“.

Margi und Frau Schuster applaudierten im Geist und versuchten, unbeteiligt auszusehen.  

Und Elschen Meier nimmt sich schnell noch eine Scheibe Schinken. Sie ahnt, dass es künftig wieder die mitgebrachten Butterbrote zum Frühstück geben wird. Und zwar  im Keller des Hauses, im kargen Personalspeiseraum.

Im Direktionsbüro zeigt sich Susanne Merz uneinsichtig und macht ein bockiges Gesicht. Eddi Weber bekommt rote Flecken am Hals, wie immer, wenn er sich aufregt.

„So, jetzt mal im Klartext!

Erstens: Sie frühstücken also mit Ihrem Team in einem Raum, der ausschließlich unseren Bewohnern zugedacht ist.

Zweitens: Die ihnen anvertrauten Menschen müssen derweil in ihrem Zimmer verschwinden und zwar, wenn ich auf meine Uhr sehe, hopp, hopp. Es ist jetzt 9.00 Uhr, da sind doch längst noch nicht alle fertig, oder?

Drittens: Sie und ihre Mannschaft bedienen sich – und das finde ich jetzt richtig dreist, Frau Merz – am Speiseangebot für die Pflegebewohner. Aber sie wissen schon, dass es streng verboten ist, auch nur an der Petersilie der Garnitur zu knabbern?“

Susanne Merz spürt über ihrem rechten Auge eine beginnende Migräne. Mit einem hilflosen Versuch, dem unangenehmen Gespräch eine entspannende Wendung zu geben, macht sie ihrem Direktor klar, dass sich Petersilie gar nicht auf der Aufschnittplatte befunden hätte. Aber Eddi Weber bringt das nur noch mehr auf die Palme.

„Kommen Sie mir nicht so, Frau Merz, nicht so! Das hier gibt jetzt erst einmal eine saftige Abmahnung. Stecken sie sich die hinter den Spiegel und sehen sie ruhig ab und zu mal hin.  Und sollte ich in Zukunft noch einmal erfahren, dass sich jemand vom Pflegepersonal auch nur eine Tomatenscheibe unberechtigterweise in den Mund schiebt, ist das ein Grund für eine fristlose Entlassung.

IST DAS KLAR?“

Hinter der Stirn von Susanne Merz klopft jetzt der Schmerz unaufhörlich. Sie nickt. „Ist klar, Herr Weber. War das alles?“

Eddi Weber, der weiß, dass dieser Vorfall heute Morgen nur möglich war, weil er sich viel zu wenig um den ganzen Pflegebereich kümmert, macht eine unwirsche Handbewegung Richtung Tür. Von jetzt an würde er ein ständiger Besucher auf der Station 4 sein, das nimmt er sich fest vor. Immer schön unangemeldet und immer zu verschiedenen Zeiten. Eventuell manchmal sogar nachts. Obwohl – da liegt er nun wirklich lieber in seinem bequemen Bett. Das wird er der Hähnlein aufdrücken. Die Nachtwachen kontrollieren, ob auch keiner heimlich raucht oder sich ein kleines Schläfchen in einem unbenutzten Zimmer genehmigt. Und dann wird er den General anrufen und ihm von seiner neuesten Maßnahme berichten. Der würde begeistert sein.

„Wie blass sie sind“, stellt Frau Wisnia zufrieden fest, als Susanne Merz an ihr vorbeigeht.  Sie ist immer froh, wenn es anderen schlechter geht als ihr und dass es Susanne Merz im Moment gar nicht gut geht, ist deutlich zu sehen. „Der tut einen manchmal ganz schön fertig machen, was?“, versucht sie die Pflegedienstleiterin auszuhorchen. Vielleicht erfährt sie ja ein paar delikate Details und kann so tun, als hätte sie Mitleid.

„Ja?“, flüstert Susanne Merz matt, „das kann ich nicht beurteilen. Wir haben eben nur über Ernährungspläne für die Bewohner gesprochen“.

Frau Wisnia guckt sie erstaunt an.

„Was‘n?“

„ESSEN“, sagt Susanne Merz überdeutlich. „Das ist das, was die Menschen dreimal am Tag zu sich nehmen“.

„Kann sein“, sagt Frau Wisnia etwas enttäuscht, „aber das glaube ich nicht. Es war eben ganz schön laut nebenan“.

Susanne Merz beißt auf ihre Unterlippe und sieht Frau Wisnia gedankenverloren an. Sie glaubt ehrlich gesagt nicht, dass sie in diesem Laden lange arbeiten wird. Das ist hier alles viel zu viel kontrolliert. Die Bewohner werden zu wichtig genommen. Sie sehnt sich nach ihrer letzten Arbeitsstelle, wo man ihr in allen Dingen freie Hand gelassen hatte. Warum hatte sie da bloß gekündigt?

Sie zuckt die Schulter. „Ich bin oben, wenn der Chef nach mir fragt. Medikamente stellen“.

Dummes Zeug, das war ein Anschiss und keine Dienstbesprechung, denkt Frau Wisnia und sieht den Plüschaffen auf ihrem Bildschirm streng an. Die Merz will mich verkohlen. Ich weiß, was ich weiß, ich habe doch keine Tomaten auf den Ohren. Die tut nicht lange bleiben, so viel steht fest.

Und da hat Frau Wisnia ausnahmsweise einmal Recht.

Eddi Weber macht ernst. Von nun an stiefelt er mehrmals täglich über die Pflegestation, steckt seine Nase ins Stationszimmer, räumt dort auf dem großen Schreibtisch alles hin und her, so dass die Angestellten nichts mehr wiederfinden, schließt zum tausendsten Mal die Tür zum Spülraum, wo die Bettpfannen entleert werden und wo es trotz reichlicher Desinfektionsmittel immer recht streng riecht, kontrolliert die kleine Stationsküche, die zum Bewohnerspeisezimmer gehört und öffnet den Kühlschrank so oft, dass der dauernd anspringt und mit seinem ständigen Gebrumm alle nervös macht. Nichts ist vor ihm sicher, selbst die Kugelschreiber im Stationsraum, der sich hinter einer großen Glasscheibe direkt am Flur der Pflegestation befindet, werden von ihm täglich gezählt.

„Was suchen sie eigentlich genau?“, fragt Susanne Merz ihren Direktor aufgebracht, als sie ohne Anmeldung ein paar Tage später sein Büro betritt. „Meine weiblichen Mitarbeiter sind am Boden zerstört. Sie behaupten allesamt, ihre Handtaschen seien von ihnen durchwühlt worden. Herr Weber, das geht entschieden zu weit!“

„Das war mein gutes Recht“ sagt Eddi Weber. „Das mit den Handtaschen“.

„Da begeben sie sich aber auf ganz dünnes Eis“, sagt Susanne Merz, die sich mit Personalrecht gut auskennt und genau weiß, dass eine Taschenkontrolle nicht erlaubt ist. Allenfalls bei Verdacht auf Diebstahl. Dann aber auch nur, wenn der Verdächtige selbst seinen Tascheninhalt leert.

„Jetzt sagen sie mir doch in Gottes Namen Herr Weber: WAS SOLL DAS?“

„Das will ich Ihnen sagen“, antwortet dieser und grinst überheblich. „Ich habe oft genug betont, dass Handtaschen auf der Station nichts zu suchen haben. Sie sind hier überhaupt nicht gegen Diebstahl gesichert und für jedermann zugänglich“.

Ja, für dich zum Beispiel, denkt Susanne Merz und verzieht den Mund zu einem verächtlichen Lächeln. Ihre Kolleginnen haben sich zutiefst geschämt, denn in weiblichen Handtaschen sind oft ganz persönliche Dinge, Dinge, die man nicht vor den Augen seines Chefs ausbreiten möchte. Von der Geldbörse mal ganz zu schweigen. Es muss ja schließlich keiner wissen, dass man nur noch vier Euro und 50 Cents am Monatsende bei sich hat. Und alle mussten sich vorstellen, dass Eddi Weber jetzt ihre größeren oder kleineren Geheimnisse kennt. Denn dass er ganz genau hingesehen hat, das ahnen alle. Für seine Neugier und sein Besserwissertum ist er inzwischen im ganzen Haus bekannt.

„Bei fünf Mitarbeiterinnen haben sie einen Zettel hinterlassen, dass sie sich bei Ihnen melden sollen“.

„Unsinn“, sagt Eddi Weber vage und wedelt mit der Hand über sein Gesicht, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen. „Ich habe nur eine Tasche aufgemacht und gar nicht auf den Inhalt geachtet. Ich wollte nur wissen, wem sie gehört, damit ich die Betreffende zurechtweisen kann“.

Ja klar, denkt Susanne Merz, da hast du gar nicht richtig hingesehen. Und der Name der Besitzerin stand dann auch in Großbuchstaben im Taschenfutter.

Eine Weile ist es still im Chefbüro, dann zuckt Susanne Merz mit den Schultern. „Ist ja nun auch nicht mehr zu ändern, wollen sie sich wenigstens dafür entschuldigen?“

„Ne“, sagt Eddi Weber, „neheee Frau Merz, auf gar keinen Fall. Die Mädels sollten die Taschen künftig in ihren Spind im Kellerumkleideraum packen. Moralisch ist die ganze Sache einwandfrei. Klar soweit?“

Susanne Merz seufzt und verdreht die Augen:

„Sie müssen es ja wissen, mein Ruf als Vorgesetzter ist es ja nicht, der gerade den Bach runtergeht. Dabei wissen Sie ganz genau, dass unsere Sachen im Spind des Umkleideraums überhaupt nicht sicher sind. Vor einer Woche ist dort zum achten Mal ein Spind aufgebrochen worden, soweit ich weiß“.

Sie steht auf und verlässt grußlos den Raum. An Frau Wisnia geht sie diesmal ganz schnell vorbei. Sie hat keine Lust, von ihr wieder auf ihren Gesundheitszustand angesprochen zu werden.

Doch diese hat diesmal kein Interesse am Leid der Kollegen. Sie zählt gerade das Kleingeld der Bürokasse und findet schon wieder einen Fehlbetrag darin. Wie zum Teufel ist der jetzt wieder entstanden? Eigenartig, manchmal hat sie das Gefühl, das Geld in ihrer Kasse mache sich selbstständig. Erst neulich hatte sie 35 Cent zu viel. Auch nicht schön.

„Irre“, sagt sie, nachdem sie eine ganze Weile nachgedacht hat und deshalb nicht den Telefonhörer abnehmen kann.  Das Telefon bimmelt  im Minutentakt.

„Ich hab’s!“

Triumphierend sieht sie ihren Plüschaffen an, als könnte sie von diesem jetzt ein Lob erwarten.

„Zehn Euro für den werten Herrn Direktor“. Der hatte sich nämlich wieder mal Geld aus der Kasse geben lassen, damit er seinen Haarschnitt bei dem hauseigenen Frisör bezahlen konnte. Nach seiner Aussage habe er immer nur drei Euro höchstens  in der Tasche. Mehr wolle er auf keinen Fall pro Tag ausgeben. Und wie immer hat er natürlich keine Quittung unterschrieben.

Das Telefon bimmelt immer noch.

Aber erst muss sie die Geschichte hier zu Ende bringen. Sonst ist sie wieder raus. Also: nachträglich eine Quittung anfertigen und von Eddi Weber unterschreiben lassen. Oder ihn zur sofortigen Zahlung auffordern. Und in Zukunft gibt’s von ihr gar kein Geld mehr ohne Unterschrift. Geliehen oder nicht geliehen.

Endlich greift sie zum Telefonhörer.

„Wisniaczikowski“ sagt sie unfreundlich und der Teilnehmer am anderen Ende weiß jetzt gar nicht, ob er mit der Bürgerpark-Residenz verbunden ist oder nicht. Er kann das eben Gehörte nicht richtig deuten. Irgendwie klang es polnisch. Und weil die Stimme wenig entgegenkommend wirkt,  legt er einfach wieder auf.

 

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