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Irgendwas ist ja immer...

In meiner Familie wird Weihnachten auf sehr unterschiedliche Weise gefeiert.
Im Hause meiner Großeltern war es eine schöne Sitte, daß alle vier Söhne einen eigenen kleinen Tannenbaum im Kinderzimmer schmückten, bevor es gemeinsam in den Salon ging, wo unter einer Riesentanne die Geschenke lagen. Und obwohl es ein Fest der Liebe war, entbrannte jeweils ein heftiger Konkurrenzkampf um den schönsten Baum im Kinderzimmer. War das geklärt, ging es nach der Bescherung zu wie auf einem arabischen Basar. Während die Eltern ihre vier Sprößlinge in trautem Spiel wähnten, tauschten und feilschten diese um ihre Geschenke, dass es nur so krachte. Dietrich, der Älteste, war der Gemeinste, das Herrmännchen als Jüngster der Gerissendste. Nur waren Carli und Ernst als mittlere Brüder auch nicht auf den Kopf gefallen, so dass letztendlich keiner den anderen über's Ohr hauen konnte. Am Ende der heiligen Nacht aber war kein Gabentisch mehr, wie er sein sollte.
Da ging es am Heiligabend in unserem Elternhaus doch viel gesitteter zu. Allerdings waren wir auch drei Mädchen. Mädchen sind in der Regel viel besser erzogen, friedlich im Gemüt und viel weniger ausgekocht.
Meine Schwestern und ich warteten brav vor dem Weihnachtszimmer, starrten wenig später atemlos vor Entzücken auf den hohen Tannenbaum, an dem Lametta und Kringel hingen und an dem der Duft der Tanne sich mit dem Kerzenduft mischte, sagten brav mehr oder weniger stockend unser Weihnachtsgedicht auf und schmetterten alle Weihnachtslieder - sieben Strophen hintereinander.
Die Geschenke, die unter weißen Tüchern versteckt lagen, wurden weder getauscht noch dem anderen geneidet - allerdings bekamen wir regelmäßig auch das, was auf unserem Wunschzettel gestanden hatte.
Meine Mutter, der es jedes Jahr auf's Neue gelang, das Weihnachtsfest zu einem Event der Extraklasse zu machen, verabschiedete sich mit schöner Regelmäßigkeit gegen 23.00 Uhr aus dem Weihnachtszimmer:
"Kinderchen, bleibt so lange auf, wie ihr wollt, ich leg' schon mal die Beine hoch. Es war doch wieder recht aufwendig, das alles".
Und so verbrachte ich den Rest des Heiligen Abends mit meinem Vater unter dem großen Eßzimmertisch. Wir mußten uns um den neuen Puppenherd der Firma Heiliger kümmern...
Das Weihnachtsfest im Elternhaus meines Ehemannes verlief nicht ganz so harmonisch.
Erstens wurde vor der Bescherung gegessen, was die Kinder regelmäßig an die Grenze ihrer Belastbarkeit brachte. Zweitens gab es statt einer knusprigen Weihnachtsgans Zunge vom Rind. Die lag dann, leicht gebogen und mit pickeliger Außenhaut, auf der Bratenplatte und verbreitete eine vorwurfsvolle Stimmung. Es fehlte nur noch, dass sie leise vor sich hin gemuht hätte.
Drittens - und das war jetzt wirklich der Gipfel dessen, was Eltern ihren Kindern zumuten sollten - musste nach dem Essen noch abgewaschen werden. Hatte man Angst, das Christkind könnte empört den Schauplatz verlassen, weil die Küche nicht pikobello aufgeräumt war?
Wie mir der Mann an meiner Seite jüngst erzählte, hatte er sich einmal getraut, gegen diese barbarische Sitte zu intervenieren. Das Ergebnis war vernichtend:
Die beiden Söhne mußten mit dem Vater im Weihnachtszimmer warten, während die Mutter laut schluchzend das Geschirr mit der Abwaschbürste traktierte. Vorwurfsvoll blickte sie eine halbe Stunde später ihren Sohn an:
"Jetzt hast du mir das ganze Fest verdorben".
Über die Lok mit Kohletender der Firma Merklin hat sich mein Ehemann trotzdem gewaltig gefreut.
Die Wünsche meiner beiden Enkeltöchter sind da anderer Art. Wir gehen in der Regel vorher gemeinsam shoppen, was im weihnachtlich geschmückten Berlin zum Vergnügen wird. Neulich allerdings fand dieses Ereignis an einem nasskalten Nachmittag statt und neben mir trottete ein vierzehnjähriges klapperdürres Mädchen schnatternd vor Kälte vorbei an Lichterketten und verheißungsvollen Schaufenstern. An ihren Füßen waren Socken nicht zu erkennen - entweder sie hatte gar keine an oder sie waren so kurz, dass man sie nicht sehen konnte. Am Leib trug sie ein leichtes Sommerjäckchen, welches am Hals nicht geschlossen war. Einen warmen Schal suchte man vergeblich. Während ihre Zähne aufeinander schlugen, versuchte sie zu erklären, warum sie auf einen Schal verzichtet hatte:
Sie hatte ihn verliehen. An eine Freundin.
Mein dringender Appell, einen dicken Pullover zu kaufen, wahlweise eine warme Winterjacke und diese möglichst gleich anzuziehen, damit das Zähneklappern aufhörte, verhallte ungehört.
Wir haben dennoch eingekauft. Auf ihrem Gabentisch wird ein kurzes Baumwollshirt mit ebenso kurzen Ärmelchen liegen. Ich hatte nicht mehr die Kraft, mich dagegen zu wehren.
Morgen gehe ich einkaufen. Da ich mittlerweile ihren Geschmack gut kenne, ist das kein Problem. Nur etwas wärmer wird alles ausfallen. Ich finde, das ist mein großmütterliches Recht - komme was wolle.
Eine meiner älteren Schwestern hatte vor Jahren ein ganz anderes weihnachtliches Problem:
Da sie die gesamte Familie zum Essen eingeladen hatte, stopfte sie einen gewaltigen Puter in die Bratröhre und versuchte Stunden später, ihn dort wieder herauszuholen.
Es war, als wäre er im Backofen gewachsen.
Festgewachsen.
Kurz - er ließ sich nicht mehr hervorholen. Erschwerend kam hinzu, dass die Schwiegermutter meiner Schwester mit guten Ratschlägen das verzweifelte Unternehmen kommentierte. Eine Tatsache, die die Hausfrau mit einem letzten energischen Ruck an dem Bratrost zerren ließ. Daraufhin löste sich dieser aus der Verankerung und der fettige heiße Puter knallte meiner Schwester entgegen. Bratfett, Puter und Füllung rutschten durch die Küche, während die Schwiegermutter sicherheitshalber den Schauplatz verließ.
Jeder hat schließlich ein Recht auf eigene Katastrophen.
Dem geht die Familie meiner französischen Verwandtschaft elegant aus dem Weg.
Hat schon der Franzose an sich überhaupt keinen Bock auf den ganzen Schmus am Heiligabend und sitzt stattdessen lieber fünf Stunden über einem opulenten Menue, so ist dieses Thema bei dem Mann meiner Nichte Natalie ein ausgesprochenes Reizthema. Ohne Mutter aufgewachsen fehlt ihm jegliches Verständnis für geheimnisvolle Überraschungen, Tannenduft und Weihnachtslieder. Meistens verreisen sie und gehen so allem aus dem Weg. Natalies Mutter, meine Schwester, kommt derweil gern für ein paar Tage zu unserer Großfamilie nach Berlin.
Dort gibt es jede Menge Geschenke, die Stimmung könnte nicht besser sein und nach der Bescherung sitzen alle ganz entspannt am großen Esstisch bei Entenbraten und gutem Rotwein.
Ich liebe dieses Fest von ganzem Herzen.
Mal so gesehen...



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