Irgendwas ist ja immer...
Silvester ist nicht mein Ding.
Ich hasse die fröhlichen Feiern aus tiefster Seele und Menschen, die einen ganzen Abend und die halbe Nacht lang bei Minusgraden an einem Strand unserer norddeutschen Küsten verbringen, nur weil sie ein Radiosender Wochen vorher mit aufgesetzter Munterkeit dazu aufgefordert hat, halte ich für gestört. Das hat auch nichts mit dem Älterwerden zu tun. Schon mit zwanzig hätte ich für kein Geld der Welt und auch nicht für die schärfste Band des Universums vor Kälte klappernd das Neue Jahr begrüßt.
Leider fehlt es mir auch für Silvesterfeiern in geschlossenen Räumen an Enthusiasmus. Eventuell sind ein paar Feiern aus der Vergangenheit daran schuld.
Traumatisch wäre da eine Einladung unseres damaligen Steuerberaters zu nennen. Wir hatten Jahr für Jahr gut zusammen gearbeitet, sich zu einer privaten Feier zu verabreden, war ein gigantischer Fehler. Der Mann an meiner Seite hatte keine Lust, ich Schwachsinnige habe ihn dann dazu überredet in ein Neubaugebiet zu fahren, in dem geraffte Gardinen vor den Fenstern hingen und der Rasen mit der Nagelschere geschnitten wurde.
Auf unser Klingeln öffnete der Hausherr persönlich. Er trug eine Flasche Sekt im Arm, als wäre es sein Neugeborenes und sang dazu den Refrain eines mir unbekannten Stimmungsliedes: "Ich bin der Frauenarzt von St. Johann".
Das fanden alle Gäste zum Brüllen komisch.
Außer uns.
Vielleicht hatten wir auch etwas verpaßt, wir waren zu spät. Aber man mag mich humorlos finden - allein die Tatsache, dass jemand ein Frauenarzt ist, reicht nicht, um mich vor Lachen auszuschütten.
Was soll an diesem Beruf so komisch sein?
Um es kurz zu machen - der Abend geriet zum Fiasko.
Der Mann an meiner Seite fand schnell Anschluss, ein Teil der Gäste waren Anwälte wie er - ich versuchte derweil, mich unsichtbar zu machen.
Nach Genuss des üppigen Buffets wurde der Teppich beiseite gerollt - es durfte getanzt werden.
Ein unattraktiver Lehrer mittleren Alters sah mir intensiv in die Augen: " Wollen wir?"
Ich wollte nicht. Ich wollte nach Hause in mein Bett. Mit einer Wärmflasche und einem großen Becher Tee. Und einem schönen Buch.
Mein Versuch, den flotten Tänzer von seinem Vorhaben abzubringen, mißlang gründlich. Der Korb, den ich ihm gab, hatte seinen Ehrgeiz geweckt - er gab nicht auf.
Seine Fragen nach dem "warum" wurden drängender und der Abstand zwischen uns immer kleiner.
Zu Hilf!
"ICH MÖCHTE NICHT MIT IHNEN TANZEN"! Meine Stimme klang schrill.
Irritiert sah der Hausherr von seiner Musikanlage auf - gerade sollte "der Anton aus Tirol" die Stimmung zum Kochen bringen.
Mein Tänzer sah mich beleidigt an.
"Zicke" zischte er leise und zog von dannen.
Der Rest des Abends zog sich entsetzlich in die Länge, während eine beginnende Migräne unaufhaltsam hinter meiner Stirn zu pochen begann.
Eine Minute nach 24.00 Uhr verließen wir den Schauplatz. Der Hausherr hielt sich immer noch für einen Frauenarzt.
Es war uns eine Lehre.
Wenngleich noch einige öde Silvesterfeiern uns daran hinderten, glücklich und entspannt das Neue Jahr zu begrüßen, haben wir doch nie wieder derartig gelitten.
Mein schönstes Silvester feierte ich in Südfrankreich.
Ab 22.00 Uhr schlief ich ruhig und entspannt in das Neue Jahr hinein. Der Mann an meiner Seite komponierte noch so ein bisschen auf dem Keyboard vor sich hin und leise Musik begleitete mich in das Reich der Träume.
Dieses Jahr haben wir unsere "ältesten" Freunde eingeladen und bei einem ausgiebigen Essen all die Dinge wieder hervorgeholt, die wir bisher zusammen erlebt haben.
Es war schön.
Wir haben viel gegessen und viel gelacht.
Unsere Kinder hatten es nicht so entspannt.
Obwohl auch sie sich mit alten Freunden in deren gemütlichem Zuhause trafen, verbrachten sie den Silvesterabend vor Mitternacht auf dem Klo - ein fieser Magen-Darm-Virus hatte sie niedergestreckt.
Ihren Gastgebern brachten sie ein kleines Geschenk mit:
Deren Kinder rannten nach 24.00 Uhr zur Toilette - die Spuckschüssel in unmittelbarer Reichweite.
Die Eltern fanden in dieser Nacht nicht eine Minute Schlaf.
Auch nicht schön!
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