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Irgendwas ist ja immer...

Neulich waren wir in unserem Lieblingscafe. Vor den Toren unserer Heimatstadt liegt es wunderschön zwischen alten Jugendstilvillen und hat einen Garten mit Rosenstöcken und zierlichen Gartenmöbeln. Darin kann man dann liebevoll dekorierten Kuchen genießen - das Angebot ist zum Niederknien. Und obwohl im Moment vor Zucker jeglicher Art gewarnt wird, als wäre es ein Gift, welches zum schnellen Tod führt, genießen wir Nuß- und Apfeltorten zusammen mit wohlschmeckendem Cappuccino ganz ohne Reue.
Oft sitzen wir nur mit ein paar anderen Gästen zwischen Geißblatt und Efeu und hören andächtig dem Vogelgezwitscher zu.
Gestern nicht.
Zu allererst suchte sich ein Rollator umständlich Bahn, geschoben von einer alten Dame. Zwei weitere Damen folgten.
Mit einem kräftigen Ruck knallte das Gefährt gegen unseren Tisch und ließ den Kaffee ☕️ überschwappen. Mein Himbeertörtchen schwamm in einer Kaffeepfütze und hatte viel von seinem Glanz verloren.
"Muddi", ertönte es neben uns vorwurfsvoll, "pass' doch auf!"
Aber Muddi setzte sich umständlich auf einen Stuhl und hatte demzufolge keinen Blick für mein Himbeertörtchen.
Wie sich nach kurzer Zeit herausstellte, handelte es sich bei unseren hinzugekommenen Nachbarn um Mutter mit zwei Töchtern, welche ebenfalls in die Jahre gekommen waren.
Der Cafébesuch fand nicht ohne Grund statt.
Wir konnten laut und deutlich vernehmen, dass Muddi wohl oder übel und vor allem auf mehr oder weniger sanftem Druck ihrer zwei Töchter unlängst ein Zimmer in einem Altenheim bezogen hatte. Nun wollte man diesen Umstand feiern.
Also, feiern wollten den Anlass nur die Töchter - Muddi konnte der Tatsache, dass sie ihr lieb gewonnenes Eigenheim aufgeben musste, dagegen nicht viel abgewinnen.
Die Bedienung brachte Ihnen Kaffee und Käsesahnetorte.
Muddi stocherte lustlos darin herum.
"Ist doch prima, die Teppiche hat der Maler gleich mitgenommen. Die brauchst du doch sowieso nicht mehr". Tochter Nr. 1 wollte sichtlich den Umstand, dass man den eigenen Teppich nicht wegen Stolpergefahr in das Heim mitnehmen durfte, dezent vom Tisch wischen.
Muddi schluckte. Sie hätte es in dem ausschließlich pflegeleicht eingerichteten Pflegezimmer gern ein wenig gemütlicher gehabt.
"Die Waschmaschine ist auch weg". Tochter Nr. 2 meldete sich triumphierend zu Wort. "Prima, oder?"
Muddi fand das sichtlich nicht, sie hatte sehr an dem guten Stück gehangen. Die Miele hatte ihr dreißig Jahre gute Dienste geleistet und war nicht einmal zur Reparatur gewesen. Deutsche Wertarbeit!
Tochter Nr. 1 schob sich ein großes Stück Käsesahnetorte in den Mund.
"Deine Wohnung ist jetzt komplett leer. Nur die Gardinen hängen noch. Die soll der Nachmieter übernehmen. Gegen Zahlung eines angemessenen Preises, versteht sich. Die sind ja noch gut."
Das fand jetzt Muddi aber auch. Sie sah kurz von ihrer Torte auf.
"Wie neu", bestätigte sie und schien kurz ihr Elend zu vergessen.
Bevor sie sich aber an weitere Einrichtungsgegenstände erinnerte, die die Töchter verkauft hatten, wollte Tochter Nr. 2 jetzt gern vom Thema ablenken. Sie wollte nicht, dass die Rede auf die Erlöse von Muddis Schätzen kam.
"Bekommst du morgens auch zwei Brötchen?".
Muddi nickte.
"Wenn nicht, mußt du dich melden, hörst du? In den Heimbedingungen steht schließlich was von sechs Mahlzeiten am Tag."
Der Mann an meiner Seite und ich sahen uns an.
Donnerwetter!
Sechs Mahlzeiten. Das schafft ja noch nicht einmal ein Schwerarbeiter, geschweige denn ein alter Mensch, der sich wenig bewegt. Auf Speisekarten liest man schließlich immer vom Seniorenteller, meistens ist es Hühnerfrikassee.
Entschlossen sah Tochter Nr. 2 Muddi an.
"Muddi, sach wat!"
Muddi schluckte.
"Ja, zwei Brötchen". Sie verschwieg bestimmt, dass sie morgens mit Mühe lediglich ein halbes Brötchen herunter brachte. An einem Tisch, auf dem es nicht ihre Lieblingsmarmelade gab und in einem Speisesaal, in dem sie niemanden kannte.
Zwischen meinem Ehemann und mir machte sich eine gewisse Beklommenheit breit. Wir hatten jetzt eine gute halbe Stunde notgedrungenermaßen zuhören müssen, die Tische standen eng beieinander und die Töchter redeten laut. Man wurde das Gefühl nicht los, sie versuchten durch lauteres Reden ihre Meinungen der Mutter direkt ins Hirn zu transportieren.
Aber jetzt konnten wir nicht mehr und gingen.
Dabei ist doch alles prima - oder?

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