Irgendwas ist ja immer...
Wir sind gelandet! In Berlin!
Irgendwie hatten wir das Gefühl, wir mussten uns verändern.
Wohnungsmäßig.
Und dann hatten wir den Salat.
Inzwischen aber sind die letzten Kartons ausgepackt, alle Bücher und Aktenordner im schwarzen Billy-Regal (gibt es immer noch, wir hatten schon mal eins in den siebzigern) verstaut, einen Elektriker gefunden (Elektriker findet man in dieser Stadt so häufig wie ein Nugget), der uns alle Lampen angebracht hat und so langsam haben wir nicht mehr das Gefühl, uns in einem Hotel zu befinden. Man braucht ganz schön lange, um sich einzugewöhnen - Meinlieberherrgesangverein!
Da zieht man aus seinem großzügigen Altstadthaus im beschaulichen Lübeck in eine zugegebenermaßen recht große Wohnung in unserer Hauptstadt um, räumt alles leer, alle Schränke und Kommoden, in denen sich so unendlich viel angesammelt hat und stellt immer wieder fest:" Oh Gott, warum habe ich das nicht längst entsorgt". Der Gipfel war unser Gartenhaus, in dem sich unter anderem unzählige alte Farbdosen befanden, deren Inhalt so festgetrocknet war, dass er sich auch mit Hammer und Meißel nicht lösen liess.
Nicht alle!
In einem Marmeladenglas war graue Farbe nur oberflächlich getrocknet, der Rest war flüssig. Das be
merkte ich, weil der Müllsack, in den ich alle Dosen schmiss, durch das leider zerbrochene Glas unten aufriss und die graue Farbe sich gleichmäßig über den Boden, meine Schuhe und meine Hände ergoß. Es gibt Momente in meinem Leben, da wünsche ich mir, die Wirklichkeit wäre nur ein Traum und ich möchte jetzt gleich mal aufwachen.
Es hat fast eine Stunde gedauert, bis alle Schäden halbwegs beseitigt waren.
Und dann kommt der Tag, den du zu Recht fürchtest:
Vier kräftige Möbelpacker kommen und übernehmen das Regiment, wie einst Napoleon vor Waterloo. Sie packen alles ein, beladen ihren 18-Tonner nebst großem Anhänger und fahren vor dir her nach Berlin.
Dort angekommen, stellen sie all die großen und kleinen Möbel an die vorgesehenen Plätze, die 60 großen Kartons allerdings mitten in den großen Raum, der künftig dein Lebensmittelpunkt sein wird.
Dann lassen sie dich allein.
Und dann stehst du da.
Und fängst an.
Zunächst packst du alles von einem Raum in den anderen. Dann merkst du, dass das nichts bringt und räumst alles wieder um. Dann setzt du dich hin, um eine Runde zu heulen. Und dann machst du weiter.
Die Telekom soll eigentlich den neuen Anschluss legen, geht aber nach 10 Minuten wieder, weil am Verteilerkasten etwas nicht stimmt.
Kabel Deutschland schickt neue Karten für den Kabelempfang, leider passen sie nicht. Das war vor drei Monaten. Denn nun begann ein reger Austausch von Modulen zwischen uns, welcher erst neulich sein Ende fand.
Im Einwohnermeldeamt - heißt hier in Zehlendorf Bürgeramt und sieht auch genau so aus: düsterer Klinker und drinnen Muff in riesiger Wartehalle und beim Pförtner - habe ich uns auch angemeldet. Natürlich hatte ich das dreiseitige Anmeldeformular nicht ausgefüllt und mitgebracht, dafür aber unsere Heiratsurkunde, die gar nicht benötigt wurde.
Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun.
Hatte ich doch schon drei Wochen auf einen Termin mit Frau Schulze gewartet, obwohl man sich spätestens (!) zwei Wochen nach Einzug ummelden muss.
Der mir mitgeteilte Termin war heute. Um 14.12 Uhr. Um 15.00 Uhr saß ich immer noch in der Halle. Was, wenn man mich jetzt nicht mehr aufrufen wollte? Ohne das ausgefüllte Formular und weil vielleicht inzwischen Feierabend war. Beamte nehmen das in der Regel sehr genau.
Aber Frau Schulze liess Gnade vor Recht ergehen und genau um 15.30 Uhr erschien meine Nummer auf dem Bildschirm des Wartesaals.
Flugs eilte ich in Raum 46 b und nahm Platz.
Frau Schulze sah mich streng über ihren Brillenrand an und waltete ihres Amtes. Nachdem sie endlich kleine weiße Aufkleber auf unsere Personalausweise geklebt hatte, kam die nächste unheilvolle Frage:
Haben Sie ihre Pässe mit?
Oh Gott, war jetzt alles umsonst? Die ganze Warterei, die unzähligen Formulare, die mühsame Konversation mit Frau Schulze? Ich wäre auch gern so langsam mal auf 's Klo gegangen, traute mich aber nicht zu fragen.
Frau Schulze rang sich ein schmallippiges Lächeln ab: Pass kann nachgereicht werden.
DANKE!
Die Ummeldung unseres Autos ging wesentlich schneller. Ein türkischer Privatdienstleister hatte die Pein geplagter Berliner erkannt und prompt reagiert: für schlappe 19.OO € ersparte er seinen dankbaren Kunden bis zu vierstündige Wartezeiten bei der Kfz- Anmeldung. Papiere dalassen und nach drei Tagen umgemeldet abholen. Bezahlen. Fertig. Wir Deutschen können mitunter noch ordentlich etwas von unseren morgenländischen Nachbarn lernen.
Geht doch.
Jetzt fahre ich entspannt durch diese Stadt und bin - ehrlich gesagt - immer wieder heilfroh, wenn ich am Ziel ankomme. Allerdings bete ich oft heimlich vor mich hin, dass mein Navi mich nicht in Stich lässt. Oder der Mann an meiner Seite, der ein Navi gut und gern ersetzen kann. Mein Orientierungssinn lässt bekanntlich zu wünschen übrig...
Mein Rücken hat mir allerdings den Umzug schwer übelgenommen. Jetzt gehe ich zweimal in der Woche zu einem jungen Physiotherapeuten, dessen Oberarme so kräftig sind, wie anderer Leute Oberschenkel. Er knetet meinen verspannten Nacken und trägt mir streng auf, jeden Tag mit einem Training zu beginnen.
Wenn ich bloss dazu kommen würde...
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