Irgendwas ist ja immer...
Ich bin die, die auf öffentlichen Toiletten immer die alte Papprolle aus dem Toilettenpapierhalter rausfummelt und die neue Klopapierrolle, die meine Vorgängerin der Einfachheit halber auf den Boden gestellt hat, einlegt.
Manchmal nicht einfach, aber so bin ich nun mal.
Machen Sie da mal was.
Ich kratze auch den Kleber des Mitteilungsschildes vom Klingelschild unserer Anlage, die einer der zahlreichen DHL-Fahrer dort hingepappt hat, weil er nämlich unsere Nachbarin, die Tag und Nacht etwas bei Amazon bestellt, nicht angetroffen hat.
Shit happens.
Ich mache ihm auch nicht mehr auf.
Einmal hat er mich aus dem Mittagsschlaf geklingelt, einmal war ich auf dem Klo.
Mit mir nicht mehr.
Manchmal kommunizieren die beiden. Der Bote schreibt, meine Nachbarin möge die Sendung doch beim nächsten DHL-Shop abholen. Dann klebt sie ihm einen Zettel hin, er soll die Sachen beim Nachbarn abgeben.
Aber auch der macht nicht mehr auf.
DHL muss lange experimentiert haben, bis sie einen Kleber fanden, der den Mitteilungszettel unlösbar mit der Haustür verbindet. Die Hausreinigung und ich stehen jedenfalls vor einem Rätsel, wie man die Reste wieder abbekommt.
Wenn nicht bald etwas passiert, sieht es an unserem Hauseingang aus wie in Neukölln, von der Berliner Polizei auch gern als "Achse des Bösen" bezeichnet.
Man mag meine Sorgfalt jetzt als leicht übertrieben bezeichnen, aber ich finde, warum gehen die Leute nicht einfach einkaufen? Man packt das Gewünschte ein, trägt es nach Haus und in die Wohnung.
Fertig.
Keine Klebezettel und kein Klingeln beim Nachbarn. Und vor allem - kein Mensch bekommt mit, für was ich mein Geld so rausschmeisse. Würde meine Nachbarin einkaufen gehen, statt online zu bestellen, wüsste ich beispielsweise nicht, dass sie Dessous von Victoria Secret trägt.
Also wirklich. Ich möchte jedenfalls nicht, dass der Rest des Hauses meine Unterwäschenmarke kennt. Sie etwa?
Leider dankt meine Umwelt mir meine Gründlichkeit nicht. Auch nicht, dass ich messerscharfe Glasscherben vom Gehweg ins Gebüsch befördere, damit sich die Hunde nicht ihre Pfoten aufschneiden und wochenlang humpeln müssen.
Anderen Leuten ist das ganz egal.
Neulich entdeckte ich in einem der Süßigkeitenregale an der Supermarktkasse, die deshalb dort angebracht sind, damit die Eltern der quengelnden Kinder die Nerven verlieren und ihnen etwas kaufen, ein Päckchen tiefgefrorener Fischstäbchen, die langsam vor sich hinschmolzen. Ein Kunde hatte wohl in letzter Sekunde doch sparen wollen oder sein Geld hatte nicht gereicht - wie auch immer.
Als ich die Kassiererin darauf aufmerksam machte, packte sie die Fischstäbchen genervt neben sich an die Kasse, wo sie fröhlich weiter schmolzen.
Warum ich mich dauernd in anderer Leute Schlamperei einmischen muss, weiß ich nicht.
Ehrlich.
Ich war schon immer so. Eine Last für meine Familie und meine Umgebung.
Seit frühester Kindheit.
Abends standen meine Schuhe vor dem Bett "auf Kante". Und waren geputzt. Der Kleiderschrank meiner Mutter sah mustergültig aus, die Pullover waren von mir fachmännisch zusammengelegt und vorher unter Dampf geglättet worden.
Da war ich 10 Jahre.
Meine Eltern waren ratlos. Aber da man sich früher eher selten über die Psyche seiner Kinder den Kopf zerbrochen hatte, warfen sich mein Vater und meine Mutter bedeutsame Blicke zu und ließen mich gewähren.
Vielleicht ein Fehler.
Hätte man mir beizeiten klargemacht, dass man mit seiner Pingeligkeit den Mitmenschen gepflegt auf die Nerven geht, würde ich heute nicht das rosa Einwegfeuerzeug auf unserem schwarzen Tisch gegen ein graues eintauschen. Oder meine Blusen im Schrank nach Farben sortiert aufhängen.
Wem das immer noch nicht reicht - meine Schuhe und Stiefel sind - selbstverständlich geputzt - in adretten, durchsichtigen Kunststoffkästen deponiert. Nach Sorten: Sneakers zu Sneakers, Ballerinas zu Ballerinas und Stiefel zu Stiefel.
Aber wenigstens belaste ich mit meiner häuslichen Akribie lediglich den Mann an meiner Seite.
Er trägt es mit Fassung.
Da er die Angewohnheit hat, morgens ein frisches T-Shirt als unterstes aus dem wohlgeordneten Stapel zu ziehen, ergibt sich für mich ein weites Betätigungsfeld, um meiner Gewissenhaftigkeit zu frönen. 10 Minuten später liegt alles wieder an seinem Platz. Nach Farben sortiert - versteht sich.
Vererbt hat sich meine Ordnungsliebe Gott sei Dank nur in Maßen.
Meine Tochter hat die Semester ihres Studiums mit rasender Geschwindigkeit absolviert, statt dauernd aufzuräumen und meine jüngste Enkeltochter backt und kocht mit einer Leidenschaft, die einen Starkoch vor Neid erblassen lassen würde.
Allerdings packt sie nicht einen einzigen Löffel weg. Das überlässt sie anderen Familienmitgliedern.
Der Apfel fiel hier einmal ziemlich weit vom Stamm.
Glücklicherweise.
Ihre Ergebnisse schmecken göttlich.
Nur meine älteste Enkeltochter hat meine Gene geerbt.
Sie trägt alles, was noch zu erledigen ist, in ihren Terminkalender ein: Putzen, Einkaufen, Anrufe etc.
In ihrem Leben muss seit jeher alles nach Plan gehen. Änderungen sind nicht erwünscht.
Und ihre Pünktlichkeit ist fast unheimlich: Sie ist selbst dann zu früh, wenn sie zu spät losgefahren ist.
Ich bin sehr stolz auf sie...
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